[Quelle: Mauthner-Gesellschaft/Verein der Sprachkritiker]

Körper und Geist

 

René Descartes

 

 
 

Körper und Geist
a) sind grundsätzlich verschieden (1641)

Nun bemerke ich hier, daß zwischen Geist und Körper insofern ein großer Unterschied besteht, als der Körper seiner Natur nach stets teilbar, der Geist hingegen durchaus unteilbar ist. Denn, in der Tat, wenn ich diesen betrachte, d.h. mich selbst, insofern ich nur ein denkendes Wesen bin, so kann ich in mir keine Teile unterscheiden, sondern erkenne mich als ein durchaus einheitliches und ganzes Ding. Und wenngleich der ganze Geist mit dem ganzen Körper verbunden zu sein scheint, so erkenne ich doch, daß, wenn man den Fuß oder den Arm oder irgendeinen anderen Körperteil abschneidet, darum nichts vom Geiste weggenommen ist. Auch darf man nicht die Fähigkeiten des Wollens, Empfindens, Erkennens usw. als seine Teile bezeichnen, ist es doch ein und derselbe Geist, der will, empfindet und erkennt. Im Gegenteil aber kann ich mir kein körperliches, d.h. ausgedehntes Ding denken, das ich nicht in Gedanken unschwer in Teile teilen und ebendadurch als teilbar erkennen könnte, und das allein würde hinreichen, mich zu lehren, daß der Geist vom Körper gänzlich verschieden ist, wenn ich es noch nicht anderswoher zur Genüge wüßte.

Sodann bemerke ich, daß der Geist nicht von allen Körperteilen unmittelbar beeinflußt wird, sondern nur vom Gehirn, oder vielleicht sogar nur von einem ganz winzigen Teile desselben, nämlich von dem, worin der Gemeinsinn seinen Sitz haben soll. Sooft sich dieser Teil nun in demselben Zustand befindet, läßt er den Geist dasselbe empfinden, selbst wenn inzwischen die übrigen Teile des Körpers ihren Zustand geändert haben sollten, wie unzählige Erfahrungen beweisen, die ich hier nicht aufzuzählen brauche.
 
 

b) . . . stehen aber in Wechselwirkung (1649)
 

Es gibt eine kleine Drüse im Gehirn,
über welche die Seele in spezifischerer Weise
als über die anderen Glieder ihre Funktionen ausübt.


 


Es ist auch nötig zu wissen, daß, obgleich die Seele mit dem ganzen Körper verbunden ist, es einen bestimmten Teil gibt, über den sie mehr als über alle anderen ganz spezifisch ihre Funktion ausübt. Man glaubt gewöhnlich, dieser Körperteil sei das Hirn oder vielleicht das Herz; das Hirn, weil sich mit diesem die Sinnesorgane verbinden, und das Herz, weil man in ihm die Leidenschaften fühlt. Nachdem ich aber die Sache sorgfältig untersucht habe, bin ich mir gewiß, erkannt zu haben, daß der Körperteil, über den die Seele ihre Funktionen unmittelbar ausübt, keineswegs das Herz ist, noch auch das ganze Gehirn, sondern nur der innerste von dessen Teilen, welches eine gewisse sehr kleine Drüse ist, die inmitten der Hirnsubstanz liegt und so oberhalb des Wegs, den die Lebensgeister von dessen vorderen Kammern zu den hinteren nehmen, hängt, daß ihre kleinsten Bewegungen sehr stark den Strom der Lebensgeister zu verändern vermögen und daß umgekehrt die geringsten Veränderungen, die im Strömen der Lebensgeister vorkommen, sehr viel dazu beitragen, die Bewegungen dieser Drüse zu verändern.
 


Woraus man erkennt,
daß diese Drüse der Hauptsitz der Seele ist.

Der Grund, der mich überzeugt, daß die Seele keine andere Stelle im ganzen Körper haben kann als diese Drüse, wo sie unmittelbar ihre Funktion ausüben kann, liegt darin, daß alle anderen Teile unseres Gehirns doppelt vorhanden sind, so wie wir auch zwei Augen, zwei Hände, zwei Ohren haben, und überhaupt alle unsere äußeren Sinnesorgane doppelt vorhanden sind. Damit wir also nur einen einzigen und einfachen Gedanken von der gleichen Sache und zur gleichen Zeit haben, ist es notwendig, daß es eine Stelle gibt, wo die zwei Bilder, die von den beiden Augen kommen oder zwei andere Eindrucke, die von einem einzigen Gegenstand durch die doppelten Organe der anderen Sinne kommen, sich zu einem verbinden können, bevor sie zur Seele gelangen, damit sie dieser nicht zwei anstatt einem Bild darbieten. Man kann auch leicht bemerken, daß sich diese Bilder oder anderen Eindrucke in dieser Drüse durch Dazwischentreten der Lebensgeister, welche die Kammern des Hirns füllen, vereinigen. Es gibt aber keine andere Stelle im Körper, wo sie somit vereinigt worden sein können, wenn sie es nicht in dieser Drüse sind. [. . .]
 
 

Wie Seele und Körper aufeinander einwirken.

Halten wir jetzt aber fest, daß die Seele ihren Hauptsitz in der kleinen Drüse in der Mitte des Hirns hat, von wo sie auf den ganzen übrigen Körper mittels der Lebensgeister, der Nerven und selbst des Bluts wirkt, das bei der Prägung der Lebensgeister mitwirkt und sie über die Arterien in alle Glieder bringt. Erinnern wir uns auch daran, was oben über die Maschine unseres Körpers gesagt worden ist, d.h., daß die feinen Nervenfasern so in allen Körperteilen verteilt sind, daß sie aus Anlaß der verschiedenen Bewegungen, die durch Sinnesobjekte ausgelöst werden, verschieden die Poren des Hirns öffnen und so bewirken, daß die in seinen Kammern enthaltenen Lebensgeister in unterschiedlicher Weise in die Muskeln eindringen, mittels welcher sie dann die Glieder in den verschiedensten Weisen, deren diese fähig sind, bewegen. Ferner [erinnern wir uns daran], daß alleinalle die anderen Ursachen, die in verschiedener Weise die Lebensgeister bewegen, auch ausreichen, um sie in die verschiedenen Muskeln zu bringen. Fügen wir nun noch hinzu, daß diese kleine Drüse der Hauptsitz der Seele ist, der so zwischen den Hirnkammern, welche die Lebensgeister enthalten, aufgehangen ist, daß sie durch die Lebensgeister entsprechend den verschiedenartigen Bewegungen, die es bei den Sinneswahrnehmungen der Gegenstände gibt, bewegt werden kann, aber daß sie auch in verschiedener Weise durch die Seele bewegt werden kann, welche die Fähigkeit besitzt, entsprechend unterschiedliche Eindrücke aufzunehmen, d.h. daß sie soviele unterschiedliche Wahrnehmungen hat, wie es verschiedene Bewegungen dieser Drüse gibt. Umgekehrt ist auch die Maschine unseres Körpers so konstruiert, daß allein daraus, daß diese Drüse unterschiedlich durch die Seele oder eine andere Ursache bewegt ist, sie die umgebenden Lebensgeister in die Poren des Hirns schickt, die sie durch die Nerven in die Muskeln weiterleiten, mittels deren sie dann die Glieder bewegen.
 
 

Beispiel für die Weise,
wie die Eindrücke der Gegenstände
sich in der Drüse in der Mitte des Gehirns vereinigen.


 


Wenn wir zum Beispiel ein Tier auf uns zukommen sehen, malt das Licht, das von seinem Körper reflektiert wird, zwei Bilder von ihm, eines in jedem unserer Augen. Diese beiden Bilder bilden davon zwei weitere mittels der optischen Nerven auf der Innenwand des Gehirns ab. Von da aus strahlen diese Bilder durch Vermittlung der Lebensgeister, von denen diese Kammern erfüllt sind, derart gegen die kleine Drüse, welche von Lcbcnsgeistern umgeben ist, daß die Bewegung,die jedem Punkt von einem jeden dieser Bilder darstellt, auf denselben Punkt der Drüse zielt, den die Bewegung, die den Punkt des anderen Bildes wiedergibt, anzielt, und so denselben Teil des Tieres darstellt. Dadurch bilden die beiden Bilder im Hirn nur ein einziges auf der Drüse ab, das unmittelbar auf die Seele einwirkt und sie die Gestalt des Tieres sehen läßt. [. . .]
 
 

Wie man in seinem Gedächtnis
das findet, dessen man sich erinnern will.

Wenn sich also die Seele irgendeiner Sache erinnern will, bewirkt der Wille, daß der Hirnzapfen sich nacheinander zu verschiedenen Seiten neigt und die Lebensgeister an verschiedene Stellen des Hirns bringt, bis sie auf die Spuren stoßen, die das Objekt, d essen man sich erinnern will, dort hinterlassen hat. Denn diese Spuren sind nichts anderes als die Poren des Hirns, durch welche die Lebensgeister vorher aufgrund der Gegenwart des Dinges ihren Lauf genommen haben und die dadurch eine größere Leichtigkeit als andere gewonnen haben, sich in der gleichen Weise zu öffnen, wenn die Lebensgeister gegen sie strömen. Deshalb treten die Lebensgeister, wenn sie zu diesen Poren kommen, dort leichter als in andere ein. Dadurch rufen sie eine besondere Bewegung in der Hirndrüse hervor, welche der Seele gerade das Objekt vorstellt, dessen sie sich erinnern will, und welche es sie erkennen läßt.