[Quelle: Mauthner-Gesellschaft/Verein der Sprachkritiker]

Thomas Hobbes (1588-1679)

Von der Sprache


 



Die Erfindung des Buchdrucks ist, obwohl genial, nichts Außergewöhnliches, wenn man sie mit der Erfindung der Buchstaben vergleicht. Aber es ist nicht bekannt, wer als erster den Gebrauch der Buchstaben erfand. Man sagt, 'Kadmos', der Sohn des phönizischen Königs 'Agenor', habe sie in 'Griechenland' zuerst eingeführt. Dies ist eine nützliche Erfindung, um die Erinnerung an die Vergangenheit weiterzugeben und die Menschheit, die in so viele und voneinander entfernte Gegenden der Erde zerstreut ist, zu verbinden.

Sie war nicht leicht zu machen, da sie von einer aufmerksamen Beobachtung der verschiedenen Bewegungen von Zunge, Gaumen, Lippen und anderer Sprechwerkzeuge ausgeht, um dadurch ebenso viele verschiedene Lautzeichen zu entwickeln, die zur Erinnerung an diese Bewegungen dienen. Aber die edelste und nützlichste aller Erfindungen war die der 'Sprache', die aus 'Namen' oder 'Benennungen' und ihrer Verknüpfung besteht. Mit ihr verzeichnen die Menschen ihre Gedanken, rufen sie zurück, wenn sie vergangen sind und teilen sie einander zum gegenseitigen Nutzen und zur Unterhaltung mit. Ohne sie hätte es unter den Menschen weder Staat noch Gesellschaft, Vertrag und Frieden gegeben - nicht mehr als unter Löwen, Bären und Wölfen.

Der erste Schöpfer der Sprache war 'Gott' selbst, der 'Adam' lehrte, wie die Geschöpfe zu benennen seien, die er ihm zeigte, denn die Schrift geht in dieser Sache nicht weiter. Aber dies genügte, ihn dazu zu bringen, die Namen entsprechend der Möglichkeit, die die Erfahrung und die Nutzung der Lebewesen boten, zu vermehren, und sie nach und nach derart zu verbinden, daß er sich verständlich machen konnte.

Und so mag er ihm Laufe der Zeit so viel an Sprache erworben haben, wie er brauchen konnte, wenn auch nicht so wortreich, wie es für einen Redner oder Philosophen notwendig ist. Denn ich kann in der Schrift nichts finden, dem direkt oder indirekt entnommen werden kann, daß 'Adam' die Namen aller Figuren, Zahlen, Maße, Farben, Töne, Vorstellungen und Beziehungen gelehrt wurden, noch weniger die Namen von Wörtern und Ausdrücken wie 'allgemein, besonders, bejahend, verneinend, fragend, wünschend, unendlich', die alle nützlich sind, und am wenigsten von allen 'Entität, Intentionalität, Quiditas' und andere nichtssagende Wörter der Schulen.

Aber die ganze Sprache, die von 'Adam' und seiner Nachkommenschaft erworben und vermehrt worden war, ging am 'Turm von Babel' wieder verloren, als alle Menschen durch die Hand Gottes für ihren Abfall mit dem Vergessen ihrer früheren Sprache geschlagen wurden. Und da sie hierdurch gezwungen waren, sich in verschiedene Teile der Welt zu zerstreuen, mußte es notwendigerweise dazu kommen, daß die derzeitige Verschiedenheit der Sprachen sich von ihnen aus so weiterentwickelte, wie es ihnen die Not, die Mutter aller Erfindungen, lehrte, und im Laufe der Zeit wurden die Sprachen überall wortreicher.

Allgemein wird die Sprache dazu gebraucht, unser sich im Geist abspielendes Denken in wörtlich geäußertes oder die Folge unserer Gedanken in eine Folge von Wörtern zu übertragen, und dies zu zwei Zwecken. Der eine davon ist das Aufzeichnen der Folgen unserer Gedanken. Diese entgleiten leicht unserem Gedächtnis un machen uns neue Arbeit, können aber mit Hilfe der Wörter, durch die sie gekennzeichnet sind, wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden. So werden also die Namen zuerst als 'Merk' - oder 'Kennzeichen' der Erinnerung gebraucht. Sodann können sich viele Menschen, wenn sie dieselben Wörter gebrauchen, gegenseitig durch Verbindung und Ordnung der Wörter zu verstehen geben, was sie sich unter jeder Sache vorstellen oder was sie über sie denken, sowie, was sie wünschen, fürchten oder sonst für Gefühle haben. Und hinsichtlich dieses Gebrauchs nennt man sie 'Zeichen'.

Besondere Benutzungsarten der Sprache sind die folgenden: Erstens, das Aufzeichnen dessen, was wir durch Nachdenken als Ursache eines beliebigen gegenwärtigen oder vergangenen Dings herausfinden und was nach unserer Erkenntnis gegenwärtige oder vergangene Dinge hervorbringen oder bewirken können - kurz, das Erwerben von Fertigkeiten. Zweitens, anderen die Kenntnisse zu zeigen, die wir erworben haben, das heißt gegenseitige Beratung und Belehrung. Drittens, anderen unseren Willen und unsere Absicht bekannt zu machen, um gegenseitige Hilfe zu ermöglichen. Viertens, uns und anderen zu gefallen und zu erfreuen, indem wir zum Vergnügen oder zum Schmuck auf harmlose Weise mit unseren Wörtern spielen.

Diesem Gebrauch entsprechen auch vier Arten von Mißbrauch. Erstens, wenn die Menschen wegen der schwankenden Bedeutung ihrer Wörter ihre Gedanken falsch aufzeichnen. Hierdurch zeichnen sie das als ihre Vorstellung auf, was sie sich niemals vorgestellt haben und täuschen sich so selbst. Zweitens, indem sie ihre Wörter in übertragener Bedeutung gebrauchen, das heißt in einem anderen Sinn als dem für sie vorgesehenen, und dadurch andere täuschen. Drittens, wenn sie durch Wörter etwas als ihrem Willen erklären, was es nicht ist. Viertens, wenn sie sie gebrauchen, um sich gegenseitig zu verletzen. Denn da die Natur die Lebewesen teils mit Zähnen, teils mit Hörnern und teils mit ihren Händen bewaffnet hat, um einen Feind verletzen zu können, ist es nur ein Mißbrauch der Sprache, wenn wir ihn mit der Zunge verletzen - es sei denn, es handelt sich um jemanden, zu dessen Anleitung wir verpflichtet sind. In diesem Falle ist es kein Verletzen, sondern Züchtigen und Bessern.

Die Art und Weise, wie die Sprache zur Erinnerung an die Folge von Ursachen und Wirkungen dient, besteht im Geben von 'Namen' und ihrer 'Verbindung'.

Einige Namen sind 'Eigennamen' und gehören allein einem einzigen Ding zu, wie 'Peter, Johannes, dieser Mensch, dieser Baum'. Manche sind vielen Dingen 'gemeinsam', wie 'Mensch, Pferd, Baum'. Obwohl nur ein Name, ist jeder von ihnen dennoch der Name verschiedener Einzeldinge, der, betrachtet man sie alle zusammen, 'allgemein' genannt wird. Es ist nämlich auf der Welt nichts allgemein außer den Namen, denn jedes benannte Ding ist individuell und einzeln.

Wegen ihrer Ähnlichkeit in einer Qualität oder eines anderen Akzidenzes wird vielen Dingen ein allgemeiner Name gegeben. Und während ein Eigenname nur die Vorstellung eines einzigen Dings bewirkt, erinnern allgemeine Namen an jedes einzelne der vielen.

Einige der allgemeinen Namen besitzen einen größeren, andere einen geringeren Umfang, wobei der größere den weniger großen umfaßt, und einige sind von gleichem Umfang und schließen sich gegenseitig ein. So besitzt beispielsweise der Name 'Körper' eine umfassendere Bedeutung als das Wort 'Mensch' und schließt es ein, und die Namen 'Mensch' und 'vernünftig' sind von gleichem Umfang, da sie sich gegenseitig einschließen. Aber hier müssen wir beachten, daß unter einem Namen nicht immer, wie in der Grammatik, nur ein Wort verstanden wird, sondern manchmal bei einer Umschreibung viele Wörter zusammen. Denn alle diese Wörter: 'Wer bei seinen Handlungen die Gesetze seines Landes beachtet' bilden nur einen einzigen Namen, der dasselbe bedeutet wie das eine Wort 'gerecht'.

Indem wir Namen von weiterer und engerer Bedeutung einführen, verwandeln wir das Rechnen mit den Folgen der im Geist eingebildeten Dingen in ein Rechnen mit den Folgen von Benennungen. Wenn zum Beispiel jemand, der überhaupt nicht sprechen kann, wie einer, der taubstumm geboren ist und dies bleibt, ein Dreieck vor seine Augen stellt und dazu zwei rechte Winkel, wie die Ecken einer rechtwinkligen Figur, so kann er durch Nachdenken Vergleiche ziehen und herausfinden, daß die drei Winkel des Dreiecks gleich den zwei danebenstehenden rechten Winkeln sind. Aber wird ihm ein anderes Dreieck gezeigt, das in der Form von dem vorherigen abweicht, so kann er ohne neue Mühen nicht wissen, ob die drei Winkel dieses Dreiecks ebenfalls den genannten gleich sind.

Wenn aber jemand, dem Wörter zur Verfügung stehen, bemerkt, daß diese Gleichheit weder aus der Seitenlänge noch aus einer anderen Besonderheit seines Dreiecks folgte, sondern nur aus der Tatsache, daß es gerade Seiten und drei Winkel besaß, und daß dies alles war, weshalb er es als Dreieck bezeichnete, so wird er kühn zu dem allgemeinen Schluß kommen, daß diese Gleichheit der Winkel in jedem beliebigen Dreieck besteht und seine Entdeckung in dieser allgemeinen Wendung festhalten: 'In jedem Dreieck sind die drei Winkel gleich zwei rechten Winkel'.

Und so wir die in einem Einzelfall gezogene Folgerung als allgemeine Regel aufgezeichnet und im Gedächtnis behalten, befreit unser sich im Geist abspielendes Rechnen von Zeit und Ort, enthebt uns aller geistigen Arbeit, ausgenommen jener ersten, und bewirkt, daß das, was 'hier' und 'jetzt' für wahr befunden wurd, zu 'allen Zeiten' und an 'allen Orten' wahr ist.

Aber der Gebrauch von Wörtern bei der Aufzeichnung unserer Gedanken ist nirgends so offenkundig wie beim Zählen. Ein von Natur aus Schwachsinniger, der nie die Reihenfolge von Zahlwörtern wie 'eins, zwei' und 'drei' auswendig lernen konnte, mag zwar jeden Glockenschlag bemerken und dabei nicken oder eins, eins, eins sagen, aber er kann nie wissen, wieviel Uhr es schlägt. Und es scheint eine Zeit gegeben zu haben, in der diese Zahlennamen nicht gebräuchlich und die Menschen genötigt waren, die Finger einer Hand oder beider Hände zu benützen, wenn sie etwas zählen wollten.

Und daher kam es wohl, daß es in jedem Volk nur zehn Zahlwörter gibt und in einigen nur fünf, und dann beginnt man wieder von vorne. Und wenn jemand, der bis zehn zählen kann, die Zahlen nicht der Reihe nach aufsagt, so wird er den Faden verlieren und nicht wissen, wann er damit fertig ist. Noch weniger wird er in der Lage sein, zu addieren, zu subtrahieren und alle anderen Rechnungsarten auszuführen. So gibt es also ohne Wörter keine Möglichkeit, mit Zahlen zu rechnen, noch weniger mit Größen, Geschwindigkeiten, Kräften und anderen Dingen, deren Berechnung für den Bestand oder die Wohlfahrt der Menschheit notwendig sind.

Sind zwei Namen miteinander zu einer Folgerung oder Behauptung verbunden, wie z.B. derart: 'Ein Mensch ist ein Lebewesen', oder so: 'Wenn es ein Mensch ist, so ist es ein Lebewesen', und der zweite Name 'Lebewesen' bedeutet alles, was der erste Name 'Mensch' bedeutete, dann ist die Behauptung oder Folgerung 'wahr', andernfalls 'falsch'. Denn 'wahr' und 'falsch' sind Attribute der Sprache, nicht von Dingen. Und wo es keine Sprache gibt, da gibt es weder 'Wahrheit' noch 'Falschheit'. 'Irrtum' kann es geben, wie wenn wir etwas erwarten, was nicht eintrifft oder etwas vermuten, was nicht gewesen ist, aber in keinem dieser Fälle kann man jemand Unwahrheit vorwerfen.

Besteht also 'Wahrheit' in der richtigen Anordnung der Namen bei unseren Behauptungen, so mußte jemand, der nach der 'reinen Wahrheit' sucht, sich notwendigerweise daran erinnern, was jeder Name, der von ihm gebraucht wurde, bedeutet und ihn an die entsprechende Stelle setzen, oder aber er wird sich in Wörtern verstrickt finden wie ein Vogel in Leimruten: je mehr er zappelt, desto mehr wird er angeleimt. Und deshalb beginnt man in der Geometrie (der einzigen Wissenschaft, die Gott bisher den Menschen gnädig schenkte) damit, die Bedeutung der Wörter festzulegen. Diese Festlegung der Bedeutungen nennt man 'Definitionen' und stellt sie an den Anfang des Rechnens.

Hieraus ergibt sich, wie notwendig es für jemanden ist, der nach wahrem Wissen strebt, die Defintionen der früheren Autoren zu prüfen und sie entweder zu verbessern, wenn sie unsorgfältig aufgestellt sind, oder sie selbst aufzustellen. Denn Irrtümer, die bei Definitionen unterlaufen, multiplizieren sich bei fortlaufendem Rechnen und führen die Menschen zu Widersinnigkeiten, welche sie schließlich sehen, aber nicht vermeiden können, ohne von der Stelle an, wo der Grund ihres Fehlers liegtt, von neuem zu rechnen.

Daher handeln diejenigen, welche sich auf Bücher verlassen, wie Leute, die viele kleine Summen zu einer größeren zusammenzählen, ohne darauf zu achten, ob die kleinen Summen richtig zusammengezählt wurden oder nicht. Und sehen sie zuletzt den Fehler und zweifeln sie ihre ersten Grundbegriffe nicht an, so sehen sie keinen Weg zur Klärung, sondern verbringen ihre Zeit mit dem Überfliegen ihrer Bücher - wie Vögel, die durch den Kamin hereingekommen sind und sich in einem Zimmer eingeschlossen finden, auf das trügerische Licht eines Glasfensters zuflattern, weil ihnen der Verstand zu der Überlegung fehlt, auf welchem Weg sie hereingekommen sind.

So wird also die Sprache zuerst dazu gebraucht, die Namen richtig zu definieren: hierin liegt der Anfang aller Wissenschaft. Und ihr erster Mißbrauch liegt darin, daß man falsche oder gar keine Definitionen gibt. Hieraus entstehen alle falschen und sinnlosen Lehrsätze, die solche Menschen, die ihre Kenntnisse der Autorität von Büchern und nicht eigenem Nachdenken entnehmen, ebensosehr unter die Unwissenden sinken lassen, wie diejenigen darüberstehen, die mit der wahren Wissenschaft vertraut sind. Denn die Unwissenheit liegt in der Mitte zwischen der wahren Wissenschaft und den Irrlehren.

Natürliche Empfindung und Vorstellungskraft werden nicht das Opfer von Ungereimtheiten. Die Natur selbst kann nicht irren, und je nach dem Ausmaß ihres Wortschatzes werden die Menschen entweder klüger oder verrückter als der Durchschnitt. Ebensowenig kann jemand, ohne lesen und schreiben zu können, außerordentlich klug oder außerordentlich närrisch werden - es sei denn, sein Gedächtnis ist durch Krankheit oder durch schlechte Organbeschaffenheit beeinträchtigt. Denn Wörter sind die Rechensteinchen der Klugen, mit denen sie nur rechnen. Sie sind aber das Geld der Narren, die es nach der Autorität eines 'Aristoteles, Cicero, Thomas' oder irgendeines anderen Gelehrten bewerten, wenn es nur ein Mensch ist.

'Gegenstand von Namen' ist alles, was in eine Rechnung einbezogen, in einer Rechnung untersucht und zu einer Summe zusammengezählt oder voneinander abgezogen werden kann und einen Rest ergibt. Die Römer nannten Geldrechnungen 'rationes', das Rechnen selbst 'ratiocinatio', und was wir in Rechnungen oder in der Buchführung als 'Posten' bezeichnen, nannten sie 'nomina', das heißt 'Namen'. Und von daher scheinen sie die Bedeutung des Wortes 'ratio' auf die Fähigkeit des Rechnens in allen anderen Gebieten ausgedehnt zu haben.

Die Griechen besitzen für 'Sprache' und 'Vernunft' nur das Wort 'logos'. Nicht, daß sie gedacht hätten, es gebe keine Sprache ohne Vernunft, sondern umgekehrt kein Denken ohne Sprache. Und den Denkakt nannten sie 'Syllogismus', was Zusammenzählen der Folgerungen aus einer Aussage mit der einer anderen bedeutet. Und da dieselben Dinge hinsichtlich verschiedener Akzidenzien einer Rechnung einbezogen werden können, werden ihre Namen verschieden gewendet und unterschieden, um diese Verschiedenheit zu zeigen. Die Verschiedenheit der Namen kann man auf vier Klassen zurückführen.

Erstens kann ein Ding hinsichtlich der 'Materie' oder des 'Körpers' in Rechnung gestellt werden, wie 'lebendig, sinnlich, vernünftig, heiß, kalt, bewegt, ruhend'. Mit all diesen Namen ist das Wort 'Materie' oder 'Körper' gemeint, da sie alle Namen von Materie sind.

Zweitens kann ein Ding hinsichtlich eines Akzidenzes oder einer Qualität, die wir uns als in ihm liegend vorstellen, in Rechnung gestellt oder betrachtet werden, wie z.B. weil 'es bewegt wird', weil 'es so lang ist', weil 'es so heiß ist', usw. Und sodann machen wir durch eine kleine Veränderung oder Wendung aus dem Namen des Dings selbst einen Namen für dieses von uns betrachtet Akzidenz und rechnen statt mit 'lebendig' mit 'Leben', statt mit 'bewegt' mit 'Bewegung', statt mit 'heiß' mit 'Hitze', statt mit 'lang' mit 'Länge' und dergleichen. Und all diese Namen sind Namen von Akzidenzien und Eigenschaften, durch die sich eine Materie oder ein Körper von anderen unterscheidet. Man nennt sie 'abstrakte Namen', weil sie von der Berechnung der Materie losgelöst sind, nicht aber von der Materie selbst.

Drittens rechnen wir mit den Eigenschaften unseres eigenen Körpers, wobei wir folgende Unterscheidungen treffen: Wenn wir z.B. etwas sehen, so rechnen wir nicht mit dem Ding selbst, sondern in der Vorstellung, und wenn wir etwas hören, so rechnen wir nur mit dem Hören oder dem Geräusch, das aus unserer Einbildung oder Vorstellung des Gehörten, die durch das Ohr vermittelt wurde, besteht. Und dies sind Namen von Vorstellungen.

Viertens rechnen wir mit 'Namen' und 'Sprachformen' selbst, ziehen sie in Erwägung und geben ihnen Namen. Denn 'allgemein, universal, besonders, vieldeutig', sind Namen von Namen. Und 'Behauptung, Frage, Befehl, Erzählung, Syllogismus, Predigt, Ansprache' und vieles andere mehr sind Namen von Sprachformen. Und dies sind die verschiedenen Arten der 'positiven' Namen, derer man sich bedient, um etwas zu bezeichnen, das in der Natur besteht oder vom menschlichen Geist erdacht werden kann, wie existierende Körper oder solche, die als existierend vorgestellt werden können, oder existierende oder erdachte Eigenschaften von Körpern, oder Wörter oder Sprachformen.

Es gibt auch andere Namen, die man 'negativ' nennt. Sie sind Zeichen, um anzudeuten, daß ein Wort nicht den Namen des in Frage stehenden Dings darstellt, wie diese Wörter: 'Nichts, niemand, unendlich, unbelehrbar, drei weniger vier' und dergleichen. Sie werden trotzdem zum Rechnen und zum Verbessern des Rechnens benützt und rufen unsere früheren Gedanken in Erinnerung, weil sie uns veranlassen, unrichtig gebrauchte Namen nicht zu verwenden, obwohl sie selbst nichts benennen.

Alle anderen Namen sind nur nichtssagender Schall, und zwar gibt es zwei Arten. Die eine liegt dann vor, wenn sie neu sind und ihre Bedeutung noch durch keine Definition erklärt worden ist. Diese Art gab es im Überfluß, geprägt von Scholastikern und verwirrten Philosophen.

Die andere Art liegt dann vor, wenn man einen Namen aus zwei Namen von widersprüchlicher und unvereinbarer Bedeutung bildet, wie der Name 'unkörperlicher Körper' oder, was dasselbe bedeutet, 'unkörperliche Substanz', und viele andere mehr. Denn immer wenn eine Behauptung falsch ist, bedeutet die Zusammensetzung ihrer beiden Bestandteile zu einem Namen überhaupt nicht. Denn ist beispielsweise 'ein Viereck ist rund' eine falsche Behauptung, so bedeutet das Wort 'rundes Viereck' nichts, sondern ist bloßer Schall.

Wenn es falsch ist zu sagen, daß Tugend gegossen oder umhergeblasen werden kann, so sind die Wörter 'eingegossene' oder 'eingeblasene Tugend' genauso absurd und nichtssagend wie ein 'rundes Viereck.' Und deshalb wirst du kaum ein sinnloses und nichtssagendes Wort antreffen, das nicht aus lateinischen oder griechischen Namen gebildet worden wäre. Ein Franzose hört selten den Namen 'parole' zur Bezeichnung unseres Heilands, den Namen 'verbe' dagegen oft. Doch 'verbe' und 'parole' unterscheiden sich nicht mehr, als daß das eine lateinisch, das andere französisch ist.

Hat ein Mensch auf das Hören einer Rede hin die Gedanken, zu deren Bezeichnung die Wörter dieser Rede und ihre Verbindung bestimmt und gebildet wurden, so sagt man, er habe verstanden, da 'Verstehen' nichts anderes ist als eine durch Rede verursachte Vorstellung. Ist deshalb die Sprache dem Menschen eigentümlich, was meine Wissens zutrifft, so ist ihm auch Verstehen eigen. Und deshalb können absurde und falsche Behauptungen, falls sie allgemein sind, nicht verstanden werden, obwohl viele meinen, sie verständen sie, wenn sie diese Wörter nur leise wiederholten oder auswendig lernten.

Auf die Arten und Ausdrücke, die Neigungen, Abneigungen und Leidenschaften des menschlichen Geistes bezeichnen und ihren Gebrauch und Mißbrauch werde ich nach Behandlung der Leidenschaften zu sprechen kommen.

Die Namen solcher Dinge, die auf uns wirken, das heißt, die uns gefallen und mißfallen, sind in den gewöhnlichen Gesprächen der Menschen von 'schwankender' Bedeutung, weil ein Ding weder auf alle Menschen noch auf denselben Menschen zu allen Zeiten in gleicher Weise wirkt. Denn da alle Namen zur Bezeichnung unserer Vorstellungen eingeführt wurden und alle unsere Affekte nur Vorstellungen sind, so können wir, wenn wir uns dieselben Dinge verschieden vorstellen, kaum vermeiden, sie verschieden zu benennen. Denn selbst wenn die Natur des von uns Vorgestellten dieselbe bleibt, so wird doch alles von unseren Leidenschaften gefärbt, da wir auf Grund unserer unterschiedlichen Körperbeschaffenheit und Vorurteile sie verschieden beurteilen.

Deshalb muß man beim Denken auf Wörter achten, die nicht nur die Vorstellung bezeichnen, die wir von ihrer Natur haben, sondern auch Natur, Neigung und Interessen dessen, der sie ausspricht, wie z.B. die Namen von Tugenden und Lastern. Denn der eine nennt 'Weisheit', was der andere 'Furcht' nennt, der eine 'Grausamkeit', was der andere als 'Gerechtigkeit', der eine 'Verschwendung', was der andere als 'Großzügigkeit', der eine 'Würde', was der andere 'Albernheit' bezeichnet, usw. Und deshalb können solche Namen niemals wahre Grundlage des Denkens sein. Das gilt auch für Metaphern und bildhafte Redewendungen. Diese sind aber weniger gefährlich, da ihre schwankende Bedeutung offenkundig ist, was bei den anderen Namen nicht der Fall ist.
 
 
 

Literatur: Thomas Hobbes, Von der Sprache / in 'Leviathan' oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, Frankfurt/Berlin/Wien 1966