Blutner/Hauptfragen der Sprachphilosophie


    Was Bedeutungen sind I: die realististische Antwort


    Bedeutung und Interpretation
    Eine Bedeutungstheorie ist wesentlich durch eine Interpretationsfunktion [| ...|] bestimmt, die sprachliche Audrücke mit gewissen außersprachlichen Entitäten verbindet. [s. Vorlesung 2]
     

      Beispiel: Sei eine Domäne D von Objekten gegeben
      [|FIDO|] = Fido
      [|IST SATT|] = {x: x ist satt}


    Es ergeben sich sofort zwei Probleme:

    • Das ontologische Problem: Was ist die genaue Natur dieser außersprachlichen Entitäten?
    • Das Problem der Interpretation: Wodurch ist die Interpretationsfunktion genauer bestimmt? [In Vorlesung 5 wird das damit verbundene generelle Problem als Problem der Repräsentation genauer verhandelt]

    •  
    Naive Form der realistischen Semantik
    Kausale Verknüpfung zwischen Namen und Gegenständen, ausgelöst durch „Benennungsakte". Damit wird eine konventionelle Zuordnung gestiftet.
     
      [|FIDO|] = dasjenige Lebewesen, das „Fido" genannt wird
      [|IST SATT|] = {x: x wird als „satt" bezeichnet}


    Drei Problemfälle:

    • Namen ohne realen Bezug: Odysseus.
    • Informativität von Sätzen, die referentielle Identität behaupten: Der Morgenstern ist die Venus.
    • Was sollen die ‚Benennungsakte' bei Prädikaten, Gattungsnamen u.a. universellen Bezeichnungen sein? Die potentiellen Instanzen lassen sich nicht mehr in endlicher Zeit aufzählen und benennen. [Siehe Universalienproblem]

    •  
    Die realistischen Semantik im Sinne Freges
    Sprachliche Ausdrücke haben nach Frege zwei Funktionen:
     
    1. Sie bezeichnen etwas (Frege verwendet den in heutiger Sprache leicht zu Mißverständnissen führenden Ausdruck ‚bedeuten etwas')
    2. Sie drücken einen Sinn aus. Für Eigennamen beispielsweise besteht der Sinn in der Art und Weise, wie der bezeichnete Gegenstand zu identifizieren ist.

    3.  
    Als Beispiel betrachte man die Eigennamen Morgenstern und Abendstern. Beide Namen bezeichnen dasselbe Objekt, nämlichen den Planeten Venus. Ihr Sinn ist jedoch unterschiedlich. Der Identifikationshinweis, der den Sinn des Eigennamens Morgenstern (bzw. Abendstern) stiftet, besteht in darin, den morgens (bzw. abends) am Sternenhimmel am hellsten Stern zu suchen. Damit ist es möglich die ersten beiden Problemen der naiven realistischen Semantik zu lösen: (i) Auch Namen ohne realen Bezug können einen Sinn haben und (ii) referenz-identische Namen können unterschiedliche Sinne haben; der Sinn eines Ausdrucks, der Referenz-Identität behauptet, kann somit kontingent sein. Das dritte Problem versucht Frege dadurch zu lösen, daß er beispielsweise den Sinn von Prädikaten als Dinge eigener (platonischer) Art ansieht. Diese ziemlich abstrakten Dinge tragen dann (auf weitgehend geheimnisvoll bleibende Weise) zur Ermittlung des Begriffsumfangs (Referenz) von Prädikaten bei.

    Frege hat versucht, seine Unterscheidung zur Klärung semantischer Sachverhalte in der natürlichen Sprache zu verwenden und hat dabei bahnbrechende analytische Arbeit geleistet. Diese Leistungen wirken bis in die heutige Zeit nach.

    So hat Frege indirekte oder oblique Kontexte untersucht, also Kontexte, die durch gewisse Einstellungen wie Glaube, Überzeugung, Wünsche, Forderungen etc. gestiftet werden. In derartigen Kontexten, so Frege, ist die Referenz eines Ausdrucks als ihr Sinn anzusehen. Unter dieser Annahme kann Frege sein bekanntes Kompositionalitätsprinzip als universelles Prinzip aufrechterhalten: Die ‚Bedeutung' (sprich Referenz) eines komplexen Ausdrucks ist eine Funktion der ‚Bedeutungen' seiner Bestandteile. Als Beispiel betrachte man den Satz Peter glaubt, daß der Morgenstern die Venus ist. Der Wahrheitswert diese Satzes ist abhängig davon, ob der ‚Gedanke' daß der Morgenstern die Venus ist , eine von Peters Überzeugungen ist. Der Wahrheitswert hängt also letzendlich nicht allein von der Referenz der involvierten Namen Morgenstern und Venus ab (wie es die naive Form der realistischen Semantik annimmt), sondern vor allem von deren Sinn.
     
     
    Referenz Sinn
    Eigennamen Gegenstand Art des Gegebenseins 
    (begriffliche, platonische Entität)
    definite Beschreibungen identifizierter Gegenstand kennzeichnender Begriff
    Prädikate Begriffsumfang
    (damit ist etwas ‚Ungesättigtes' gemeint, also keine ‚Klasse')
    Begriffsinhalt
    (platonische Entität)
    Sätze Wahrheitswert Proposition, Gedanke

    Einzuräumen ist, daß der Begriff des Sinns bei Frege in ein gewisses Dunkel gehüllt bleibt. Frege unternimmt nicht ernsthaft den Versuch, etwa Kriterien für Sinngleichheit anzugeben. (Was sind zwei gleiche ‚Arten des Gegebenseins'?). An dieser Stelle leistet Carnaps (1956) Theorie von Intensionen und intensionaler Isomorphie grundlegende Klärungen, die man jedoch nicht als Rekonstruktion von Freges Sinnbegriff verstehen darf, sondern bestenfalls als eine Art von salopper Approximation.

    Symbolmanipulation und Interpretation
    Die interpretative Semantik geht davon aus, daß eine Interpretationsfunktion existiert, die den Zusammenhang zwischen sprachlichen Ausdrücken und außersprachlichen Entitäten herstellt. Die philosophisch wichtige Frage ist nun, auf welche Weise diese Interpretationsfunktion näher bestimmt ist. Der einfachste Fall (naive realistische Semantik) geht davon aus, daß eine direkte kausale Verknüpfung zwischen Namen und Referenzobjekt (man denke an Taufakte) hergestellt wird. Durch diese kausale Verknüpfung ist-zumindest für Eigennamen-die Interpretationsfunktion eindeutig bestimmt. Doch diese Theorie taugt nicht für Prädikate oder universelle Namen. Freges Theorie läßt uns ebenfalls im Stich, wenn es um die konkreten Mechanismen geht, die uns helfen könnten, aus dem Sinn eines Ausdrucks zur Bestimmung seiner Referenz zu gelangen.

    Die moderne interpretative Semantik geht nun von folgender grundsätzlichen Überlegung aus, um den Bereich der potentiell möglichen Interpretationsfunktion drastisch einzuschränken. Zeichen oder Symbole eines symbolmanipulativen Systems stehen nicht isoliert da. Sie sind manipulierbar und treten dadurch in vielfache Beziehungen. Wenn die Symbolmanipulation auf die Simulation der externen Wirklichkeit gerichtet ist, dann stellen die symbolmanipulativen Beziehungen Beschränkungen für die Interpretation bereit. Nach dieser Auffassung können alle wesentlichen Beschränkungen an die Interpretationsfunktionen durch diese symbolischen Verrechnungsverfahren (symbolische Regeln, Prinzipien, Algorithmen etc.) gefaßt werden.

    Ein elementares Beispiel für ein symbolmanipulatives System

    Seien die symbolischen Strukturen definiert als Ketten bestehen aus den (elementaren) Symbolen 0 und L. Unser Berechnungssystem realisiert nun folgende Input-Output-Funktionen auf der Menge S derartiger Symbolketten:
     

    F1(x) = z
    x z
    0 L
    L L0
    L0 LL
    LL L00
    L00 L0L
    ... ...

    Allgemein: F1(x0) = xL ; F1(xL) = F1(x)0
    Dabei ist x eine Variable für Symbolketten
     

    F2(x,y) = z
    x y z
    0 0 0
    0 L L
    L 0 L
    L L L0
    L L0 LL
    ... ... ...

    Allgemein: F2(x,0) = x ; F2(x,F1(y)) = F1(F2(x,y))
    Dabei sind x und y Variablen für Symbolketten

    Eine Interpretationfunktion für dieses System ist beispielsweise folgende Funktion, die den Sybolketten natürliche Zahlen zuordnet:
     

    [|x|] = n
    x n
    0 0
    L 1
    L0 2
    LL 3
    L00 4
    ... ...

    Die Druckzeichen 0, 1, 2 sollen dabei die Zahlen selber andeuten. Im Unterschied zu den Druckzeichen L,L0, usw., die für Zeichenketten des Symbolsystems stehen (duale Zahlzeichen), stehen die Druckzeichen der ersten Kategorie für reale Objekte (die gemäß Freges Vorstellungen einem ‚drittem Reich'zugehören). Der entscheidende Punkt ist nun, daß die Interpretationsfunktion [|...|] einen Homomorphismus zwischen unserem Berechnungssystem und dem wirklichen Zahlensystem darstellt. Damit ist einfach gemeint, daß die Funktionen F1 und F2 des Berechnungssystems als Funktionen des Zahlensystems gedeutet werden können, und zwar F1 als die Nachfolgerfunktion (Addition von 1) und F2 als die Addition zweier Zahlen:

       
      [|F1(x)|] = [|x|]+1 ; [|F2(x,y)|] = [|x|]+ [|y|]
    Allgemein nennt man eine Menge A zusammen mit gewissen (möglicherweise mehrstelligen) Funktionen f1, f2 über A eine Algebra. So ist unser Symbolsystem <S, F1, F2> eine Algebra ebenso wie die Menge N der natürlichen Zahlen zusammengenommen mit Addition und Multiplikation: <N, +, ·> . Man sagt eine Algebra <A, f1, f2, ...> simuliert eine (im Typ der Funktionen) passende Algebra <A', f1', f2', ...> genau dann, wenn es eine Funktion [|...|] von A in A' gibt, die gewisse Korrespondenzbeziehung erfüllt. Für den einfachsten Fall, daß wir es nur mit einstelligen Funktionen zu tun haben, lauten diese Korrespondenzbedingungen: f1'([|x|]) = [|f1(x)|], f2'([|x|]) = [|f2(x)|], ...

    In mathematischer Sprache ist eine Simulation ganz einfach ein Homomorhismus.

    Eine anschauliche Darstellung des Begriffs der Simulation wird durch das Bild einer Brücke vermittelt, deren zwei Pfeiler die Interpretationsfunktion darstellen. Die Grundspanne wird durch die Funktionen der simulierenden Algebra realisiert und die obere Spanne durch die Funktionen der simulierten Algebra:

    Wir haben gesehen, daß man mit Hilfe eines symbolischen Systems (natürliche) Zahlen simulieren kann.


    Von Descartes stammt die Erfindung der analytischen Geometrie. Die Idee ist, die Punkte der Ebene oder des Raums durch Zahlenpaare oder Zahlentripel zu simulieren. Damit ist es dann nicht weit zu der Idee, Kreise und Kugeln durch bestimmte Gleichungen zu simulieren (x2+y2=r2  für Kreise mit dem Radius r bzw. x2+y2+z2=r2  für Kugeln mit dem Radius r).
     

    Die Grundidee der interpretativen Semantik ist nun einfach, die Redeweisen a repräsentiert a' bzw. a bedeutet a' durch den technischen Begriff a s-repräsentiert a' zu ersetzen. Mit diesem technichen Begriff von s(imulations)-repräsentiert ist gemeint ist, daß die a enthaltende Algebra die a' enthaltende Algebra simuliert, und zwar mit Hilfe von [|...|]. Dabei wird a auf a' abbildet: [|a|] = a'.

    Man könnte nun meinen, daß die Interpretationsfunktion im Idealfall durch die genannten Korrespondenzbedingungen eindeutig bestimmt ist. Nur wenn dies der Fall ist, kann man beispielsweise im Falle eines symbolverarbeitenden Systems A gerechtfertigt davon sprechen, daß A aus sich heraus (mit Hilfe der Korrespondenzbedingungen) etwas bestimmtes repräsentiert. Im anderen Falle braucht man einen zusätzlichen Mechanismus, vielleicht in Form eines Guten Willens oder eines referenzstiftenden Dämons, der diese Aufgabe leistet.

    Es ist nicht schwer, die Einsicht zu erlangen, daß die Idee der Simulation (oder des Homomorphismus) nicht ausreichend ist, die gewünschte Eindeutigkeit der Interpretationsfunktion zu erlangen. Entsprechende Überlegungen mögen Frege dazu gebacht habe, dieses im engen Zusammenhang zu Hilberts sogen. axiomatische Methode (Hilbertsche Methode) stehendes Verfahren als Verfahren zur Bedeutungsbestimmung abzulehnen. Und Putnam haben derartige Überlegung davon überzeugt, seinen ‚metaphysischen Realismus' aufzugeben.



    Literatur:
  • Rudolf Carnap (1956): Meaning and necessity. The University of Chicago Press, Chicago
  • Robert Cummins (1991): Meaning and Mental Representation. The MIT Press. Insbes. Abschnitt 8: Interpretational Semantics
  • Franz von Kutschera (1993): Sprachphilosophie. Wilhelm Fink Verlag, München. Insbes. Abschn. 2.1: Realistische semantische Theorien.